Rückschreitende Erosion an Stauwerken

Leitung: Prof. Dr.-Ing. Martin Achmus
Bearbeiter: Dr.-Ing. Marx Ahlinhan
Laufzeit:  Abschluss 2011

Einführung

Abb.1: Erosionskanäle unter einem Deich (links) und unter einem Flusssperrwerk (schematisch Abb.1: Erosionskanäle unter einem Deich (links) und unter einem Flusssperrwerk (schematisch Abb.1: Erosionskanäle unter einem Deich (links) und unter einem Flusssperrwerk (schematisch
Abb.1: Erosionskanäle unter einem Deich (links) und unter einem Flusssperrwerk (schematisch

Die rückschreitende Erosion bzw. der zugehörige Versagenszustand Erosionsgrundbruch ist ein sowohl für Flusssperrwerke als auch für Dämme und Deiche höchst relevanter Prozess. Bei der Unterströmung solcher Bauwerke in erosionsanfälligen Böden (vorwiegend relativ feinkörnige nichtbindige Böden wie z. B. Feinsand) kann es bei Überschreitung einer gewissen Wasserspiegeldifferenz zur Ausbildung einer Erosionsröhre im Untergrund kommen (Abbildung 1). Infolge fortschreitenden Materialtransports erweitert sich die Erosionsröhre entgegen der Strömungsrichtung, so dass es am Ende zu einem Absacken des Bauwerks in den erodierten Bereich und schließlich zum völligen Standsicherheitsverlust (Erosionsgrundbruch) kommt.

 

Abb.2: Austrittsgradientenmethode Abb.2: Austrittsgradientenmethode Abb.2: Austrittsgradientenmethode
Abb.2: Austrittsgradientenmethode

Der Vorgang der rückschreitenden Erosion beginnt am unterwasserseitigen Austritt der Strömung. Maßgebend für den Beginn des Versagensmechanismus ist daher neben der Bodenart der hydraulische Gradient an dieser Stelle. Bei der Austrittsgradientenmethode wird dieses Strömungsgefälle iexit aus einem Potentialliniennetz ermittelt und einem zulässigen bodenartabhängigen Austrittsgradienten iexit,zul gegenübergestellt. Schematisch ist diese Methode in Abbildung 2 dargestellt.

 

Gleichung 1 Gleichung 1 Gleichung 1
Gleichung 1

Die entscheidende Frage bei der Austrittsgradientenmethode ist die Größe des kritischen bzw. des zulässigen Austrittsgradienten. Theoretisch ergibt sich unter Annahme einer vertikal nach oben gerichteten Strömung ein kritischer Wert gemäß Gleichung 1 und damit in der Regel ein Wert zwischen rd. 0,9 und 1,1.

 

Abbildung 3: Aufbau der Modellversuche (oben: schematisch; unten: Beispiel eines Versuchsaufbaus ohne Spundwände) Abbildung 3: Aufbau der Modellversuche (oben: schematisch; unten: Beispiel eines Versuchsaufbaus ohne Spundwände) Abbildung 3: Aufbau der Modellversuche (oben: schematisch; unten: Beispiel eines Versuchsaufbaus ohne Spundwände)
Abbildung 3: Aufbau der Modellversuche (oben: schematisch; unten: Beispiel eines Versuchsaufbaus ohne Spundwände)

In der Praxis verwendete zulässige Austrittsgradienten liegen zwischen 0,14 und 0,25. Dies scheint insofern gerechtfertigt, als die tatsächliche Sicherheit gegen das Auftreten rückschreitender Erosion erheblich geringer ist, weil hier Effekte infolge Baugrundheterogenitäten und –störungen eine entscheidende Rolle spielen.

Um den tatsächlichen, in den zulässigen Austrittsgradienten enthaltenen Sicherheitsbeiwert abschätzen zu können, wurden Erosionsversuche durchgeführt, bei denen Störungen am unterwasserseitigen Sperrwerksende gezielt simuliert wurden. Den Modellaufbau zeigt Bild3.

Als Versuchsboden wurde ein gleichförmiger mittelsandiger Feinsand verwendet, der jeweils einmal in lockerer bis mitteldichter (D = 0,33) und einmal in dichter Lagerungsform (D = 0,88) eingebaut wurde. In verschiedenen Versuchen wurde die Mächtigkeit der durchströmten Sandschicht zwischen 10 und 25 cm variiert. Es wurden Sperrwerksquerschnitte mit zwei Spundwänden sowie ohne Spundwände untersucht.
Ausgehend von einem ausgeglichenen Wasserspiegel wurde der Oberwasserspiegel während eines Versuchs schrittweise erhöht und es wurde jeweils abgewartet, bis sich annähernd stationäre Strömungsverhältnisse einstellten. Nach jeder Wasserspiegelerhöhung auf der Unterwasserseite wurden durch gegebenenfalls mehrfaches, einige Zentimeter tiefes Einstechen einer dünnen Nadel Baugrundstörungen wie z. B. Kolke simuliert. Wenn trotz dieser Störungen keine Erosion einsetzte, wurde der Oberwasserspiegel weiter erhöht.

 

Abb.4: Austrittsgradienten bei Beginn des Erosionsvorgangs Abb.4: Austrittsgradienten bei Beginn des Erosionsvorgangs Abb.4: Austrittsgradienten bei Beginn des Erosionsvorgangs
Abb.4: Austrittsgradienten bei Beginn des Erosionsvorgangs

Der Beginn des Erosionsvorgangs ist durch das lokal begrenzte Entstehen einer boiling-Zone am unterwasserseitigen Sperrwerksende gekennzeichnet. Innerhalb eines kleinen Kegels bewegen sich hier Sandteilchen unter der Einwirkung der Strömungskraft und werden heraustransportiert. Obwohl ausgeworfenes Material jeweils vorsichtig entfernt wurde, ist dieser Zustand zunächst stabil, d. h. ein Fortschreiten der Erosionsröhre tritt erst bei weiterer Erhöhung des Oberwasserspiegels auf. Es ist deshalb zwischen der Wasserspiegeldifferenz zum Beginn des Erosionsvorgangs und beim Eintritt des Versagenszustands zu unterscheiden.

In Bild 4 sind die aus den experimentellen Ergebnissen rückgerechneten, zum Beginn des Erosionsprozesses gehörigen Austrittsgradienten grafisch dargestellt. Es zeigt sich eine gewisse Abhängigkeit der kritischen Gradienten von der Dicke der durchströmten Sandschicht. Auch ergeben sich für ein Sperrwerk ohne Spundwände tendenziell etwas geringere Werte.

Vernachlässigt man diese Abhängigkeiten, so können auf Grundlage der Versuchsergebnisse folgende kritische (den Beginn des Erosionsprozesses repräsentierende) Austrittsgradienten genannt werden.

-Feinsand, mittelsandig, dichte Lagerung: iexit,krit = rd. 0,50

-Feinsand, mittelsandig, lockere bis mitteldichte Lagerung: iexit,krit = rd. 0,40

Demnach enthalten die in der Praxis verwendeten zulässigen Austrittsgradienten einen Sicherheitsbeiwert von etwa 3,0.

 

Die vorgestellten Versuchsergebnisse belegen, dass unter Berücksichtigung von Baugrundstörungen im Unterwasserbereich der Prozess der rückschreitenden Erosion bei deutlich kleineren (am ebenen System ermittelten) Austrittsgradienten als theoretisch zu erwarten beginnt. Für Feinsand betragen die kritischen Gradienten je nach Lagerungsdichte zwischen rd. 0,4 und 0,5.

Hierdurch wird belegt, dass der Prozess der rückschreitenden Erosion ganz wesentlich durch im Regelfall nicht erfassbare Untergrundheterogenitäten und -störungen (wie z. B. Kolkbildungen) geprägt ist. Vor diesem Hintergrund erscheint das in den zulässigen Gradienten enthaltene, relativ hohe Sicherheitsniveau gerechtfertigt. Weitere Untersuchungen bezüglich zulässiger hydraulischer Gradienten sind jedoch in jedem Fall wünschenswert und notwendig.

Publikationen

[1] Mansour, B.G.S., Achmus, M. (2003). Finite Element Analysis for old Barrages with upstream low permeability soil blanket. 10th Int. Colloquium on Structural and Geotechnical Engineering, Ain Shams University, Cairo, 22-24 April.

[2] Achmus, M., Mansour, B.G.S. (2003). Comparing finite element and empirical analysis methods for the Assiut barrage apron. Hydropower & Dams, Issue Three, 2003

[3] Mansour, B.G.S., Achmus, M. (2004). Comparison of the methods for the design of the River Nile barrages with respect to piping. Hydro 2004. Portugal

[4] Mansour, B.G.S. (2005). Investigations on Design and Rehabilitation Options for River Barrages with Special Respect to Piping. Mitteilungen des Instituts für Grundbau, Bodenmechanik und Energiewasserbau, Universität Hannover, Heft 62

[5] Achmus, M. (2006). Untersuchungen zum Nachweis gegen Erosionsgrundbruch an Stauwerken. 2. Symposium "Sicherung von Dämmen, Deichen und Stauanlagen",Universität Siegen, Februar 2006

[6] Achmus, M., Mansour, B.G.S. (2006). Considerations and Model tests on the Design of River Barrages with Respect to Piping. 3rd Int. Conference on Scour and Erosion, Amsterdam, 1-3 Nov. 2006.